Samstag, 14. September 2013

Zur Ästhetik des schlechten Geruchs




"Formen und Wendungen" 

"… allein ich bekomme nur eine nach der andern, alſo was in der Phantaſie, welche mit reinen Gefühlen der Erinnerung und Sehnſucht unmittelbar verknüpft ſind. Eckelhafter Geruch kann am rechten Orte ein Grauſen äſthetiſcher Art verſtärken. Allein theils iſt dabei der Geruch nur ein Mitwirkendes und nicht das Organ des Ganzen, theils fragt ſich erſt, ob in einem wahrhaft äſthetiſchen Zuſammenhang ein wirklicher oder wirklich dargeſtellter Geruch vorkommen darf (wie z. B. das bei Darſtellungen der Auferweckung des Lazarus häufig von Malern angebrachte Motiv, daß ſich ein Zuſchauer die Naſe zuhält), ob nicht vielmehr nur ein innerlich vorgeſtellter; denn dieſen Sinn wie alle andern werden wir als innerlich geſetzten wiederfinden".






Montag, 1. Juli 2013

Hegel, Kosuth und die Wahrheit über Stuttgart 21




"daß diese Furcht zu irren schon der Irrtum selbst ist".

Stuttgart Hauptbahnhof. Jeden Abend Leuchtschrift. Ein Spruch von G. W. F. Hegel, „der berühmteste Sohn der Stadt“, aus seiner „Phänomenologie des Geistes“.

Es ist nicht wahrscheinlich, schreibt Literaturprofessor Heinz Schlaffer, "dass sich an einem zweihundert Jahre zurückliegenden Streit über die Möglichkeit philosophischer Erkenntnis ausgerechnet die Deutsche Bahn beteiligen und ihre Parteinahme auf eine derart spektakuläre Weise kundtun wollte. Gegen eine harmlose Deutung der Aktion spricht der Ort, an dem Hegels Devise angebracht wurde: gerade an dem Bahnhof, dessen Teilabriss geplant war und heute verwirklicht ist. Für den praktischen, aktuellen Zweck der scheinbar allgemeingültigen (und doch so anfechtbaren) Denkregel spricht auch der Zeitpunkt, zu dem an den international bekannten Künstler ­Joseph Kosuth, damals Professor an der Stuttgarter Kunstakademie, der Auftrag erging, Hegels Diktum in Leuchtschrift hoch oben an der Bahnhofsfassade zu verkünden.Den Politikern, Ingenieuren und Unternehmern kamen der berühmte Philosoph Hegel und der berühmte Künstler Kosuth gelegen, um dem prekären Vorhaben den Glanz bedeutsamer Worte und fragloser Sicherheit zu verschaffen. Praktische Bedenkenlosigkeit erhielt durch den einschüchternden Namen eines Philosophen höhere Weihen und sollte so die Einwohner der Stadt auf die Seite des Projekts ziehen, ehe ihnen dämmerte, worum es ging und welche Folgen es haben würde. Vermutlich spürten sie damals selbst die „Furcht zu irren“ und setzten sich mit Hegels forschem Paradox über ihre Zweifel hinweg. Wenn die Kosten von Stuttgart 21 dadurch nicht noch weiter steigen würden, machte der jetzige Stand der Erkenntnis eine Ergänzung des missbrauchten und ­irreführenden Zitats notwendig: „ daß diese Furcht vor der Furcht zu irren schon der Irrtum selbst war“.

Man muss es dem Literaturprofessor und Nietzsche-Anhänger nachsehen - er versteht schlichtweg Hegel nicht. Die Furcht vor dem Irrtum war für Hegel nichts anderes als Furcht vor der Wahrheit. Und das Wahre ist für Hegel bekanntlich das Ganze: "Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen…, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist". Die Furcht zu irren, mag auch in Stuttgart schon der Irrtum sein, sofern man die Wahrheit nicht wissen wollte, die es am Ende erst ist.


Und Kunst, sagt der Kunstsoldat, fürchtet den Irrtum ohnehin nie.




Samstag, 1. Juni 2013

Die Kunst, einen Witz zu machen





"Ein Witz kommt zustande, wenn mindestens zwei Satzsinne schillernd ineinander übergehen oder eindringen, ohne ein stabiles Sinnganzes zu bilden; von der erlebten Dynamik dieser Bewegung doppel- oder mehrsinnigen Schillerns hängt ab, ob der Witz zündet. Diese Satzsinnbewegung braucht keine Zeit, als ob etwa der eine und der andere Gedanke sich in kurzen Abständen im Denken ablösten; das ergäbe keinen Witz, sondern geistige Verwirrung. Die Pointe des Witzes ist ein labiles und dramatisches Zusammentreffen mehrerer Satzsinne oder Sachverhalte, freilich auf ungeregelte Art".

Das Witzigste ist, dass dieser Witzmacher es erst meint. 






Freitag, 10. Mai 2013

Der reale Humanismus




Hat sich das Bewusstsein in der Gesellschaft nicht eben gewandelt?
War nicht noch gerade die Ansicht vorherrschend, Menschen könnten selber Menschen sein
wie die Kunst selber Kunst machen kann? 
Eine Rückbesinnung hat eingesetzt“.
Und was jetzt nicht alles “einsetzt”. – Viele (denn es sind die “Vielen”) setzen so ein, dass sie den Staat nicht nur mehr als Eingreifer sehen, sondern auch als flächendeckenden Zuchtmeister. Der realhumanistische Staat soll sorgen, dass es gleich und gerecht zugeht, dass das Wachstum noch schneller wächst, dass selbst der Zuchtloseste noch herangezüchtet wird und eine Chance auf viel mehr Zuchtprämie erhält, dass die Umwelt getrennt und sortiert wird und sich züchtige Regierungskandidaten auf Kosten der allgemeinen Stadtwerke bereichern können.
Einschränkungen ihrer Freiheit nehmen die meisten dafür gern in Kauf. Denn die meisten im tiefsten ihres erneuerbaren Unterbewussten empfinden und spüren noch den starken Geist der einstigen Führer. Denn wenn sich einige gegen die Gemeinschaft rücksichtslos verhalten und nur darauf bedacht sind, ihre eigenen Wünsche, Ziele und Interessen durchzusetzen – ja dann müssen oft die anderen  darunter leiden.
So hat die Gier zu den bekannten Exzessen geführt, für die unsere ehrenwerten “Retter” dann am Ende die Gemeinschaft heranziehen mussten. Namenlose Regierungen hatten zuvor, im Namen namenloser Freiheit, namenlose Märkte entfesselt. Aber wie sich herausstellte, führte dies auf Dauer nicht zu mehr namenloser Freiheit und namenlosem Wohlstand für alle Namenlosen, sondern nur zu exorbitant namenlosen Vorteilen für wenige Namenlose.
Heute besteht kein Zweifel mehr, dass die Freiheit eine ordnende Hand in Form einer starken Regulierung und Züchtigung braucht, so wie es das Konzept des ursprünglichen Realhumanismus schon immer vorsah. Die Jünger eines falsch verstandenen zuchtfeindlichen Neoliberalismus, wie in Wissenschaft und Medien noch vereinzelt anzutreffen sind, stehen mittlerweile auf verlorenem Posten.
Ähnliches gilt auch in anderen Bereichen. Bevormundung und Anpassung schrecken daher kaum noch jemanden. Im Gegenteil: Viele wünschen sich, dass die Staatsführung eingreift und auch im gleichen Miteinander den gleichen Geist durchsetzt.
Tagesbefehl an die Kunstarmee: Antreten zum Appell an die kommende realhumanistische Staatsführung!



Samstag, 30. März 2013

Die Kunst, die GOTT köpfte


"Dieses Kunstwerk ist das Schwert, womit der Deismus hingerichtet worden".


"Ehrlich gestanden, ihr Franzosen, in Vergleichung mit uns Deutschen seid ihr zahm und moderant. Ihr habt höchstens einen König töten können, und dieser hatte schon den Kopf verloren, ehe ihr köpftet. Und dabei mußtet ihr so viel trommeln und schreien und mit den Füßen trampeln, daß es den ganzen Erdkreis erschütterte. Man erzeigt wirklich dem Maximilian Robespierre zuviel Ehre, wenn man ihn mit dem Immanuel Kant vergleicht. Maximilian Robespierre, der große Spießbürger von der Rue Saint-Honoré, bekam freilich seine Anfälle von Zerstörungswut, wenn es das Königtum galt, und er zuckte dann furchtbar genug in seiner regiziden Epilepsie;aber sobald vom höchsten Wesen die Rede war, wusch er sich den weißen Schaum wieder vom Munde und das Blut von den Händen und zog seinen blauen Sonntagsrock an, mit den Spiegelknöpfen, und steckte noch obendrein einen Blumenstrauß vor seinen breiten Brustlatz". Heine

Sonntag, 27. Januar 2013

Tagesbefehl an die Kunstarmee - Zurück zum Herrenwitz



Für die Kunstarmee wird nicht erst seit heute die Frage virulent, wie ein Weltbild aussehen könnte, das den Herrenwitz zum zentralem Bezugspunkt nimmt. Ein gleichsam intimes In-der-Welt-Sein, das sich auf einer Stufe mit anderen Lebewesen und Organismen und mit diesen herrschaftlich vereinbar sieht. Die philosophischen, aber auch künstlerischen Ansätze, die sich dies zum Ziel gesetzt haben, lassen sich bis weit in die Jahrhunderte zurückverfolgen. Deshalb ist es immer wieder nötig, an die uneingelösten Versprechen und Ideen dieser Denkschulen zu erinnern bzw. sie nach Möglichkeit auf den Stand der Zeit zu bringen. Die Frage, inwiefern künstlerische Praktiken in dieser Hinsicht nicht ohnehin meist einen Schritt weiter und in Sachen Entthronung des alles bestimmenden Subjekts federführend waren, stellt hier eine ergänzende Perspektive dar.

Insgesamt mutet es reichlich paradox an, aus intellektueller, also denkender Position der Basis dieses Denkens, sprich den subjekt- oder personenzentrierten Herrenwitz, eine Absage zu erteilen. Das Fundament aller weltlichen und ästhetischen Erfahrung dadurch untergraben zu wollen, indem man das, was außerhalb ihrer selbst liegt, einzuholen versucht. Ja sich anschickt, aus diesem Einholen und Sich-Öffnen eine antiästhetische und antiherrliche Denkbasis aufzubauen.