Freitag, 25. Februar 2011

Zur Ästhetik einer paranormalen Glaubwürdigkeitsfigur





Die wohlmeinende Absicht, das moralisch Gute überall als höchsten Zweck zu verfolgen, sagt Schiller-Earth, habe in der Kunst schon manches Mittelmäßige erzeugt und in Schutz genommen, so auch in der Theorie erheblichen Schaden angerichtet. Um den Künsten einen hohen Rang anzuweisen, Anerkennung und Glaubwürdigkeit - zeitgenössisch: Authentizität - zu erwerben, vertreibe man sie aus ihrem eigentlichen Gebiet. Man glaube ihnen einen großen Dienst zu erweisen, indem man ihnen anstatt des frivolen Zwecks einen moralischen unterschiebt.

Der frivole Zweck, 


ein kleiner oder größerer Betrug, oder gegebenenfalls auch das schwere Verbrechen. Sei die Kunst dagegen nur moralisch, verliere sie das, wodurch sie allein mächtig ist, ihre Freiheit, und das, wodurch sie wirksam ist, der Reiz des Vergnügens. Das Spiel verwandelt sich in ein ernsthaftes Geschäft. Und doch sei es gerade das Spiel, wodurch sie das Geschäft am besten vollführen könne. Kunst sei die Kunst, gute Geschäfte zu machen, sagt Warhol-Venus.

Rein vergnügungsgeschäftlich sei es so, sagt wiederum Schiller-Earth, das der Erfolg des Bösen weit mehr vergnügt als der Misserfolg des Edlen, weil a) das Laster selbst und b) die Belohnung des Lasters eine Zweckwidrigkeit enthalten. Außerdem wisse man, dass das Edle weit mehr geschickt ist, sich selbst zu belohnen, als das erfolgreiche Böse, sich zu bestrafen. Beispielsweise ein Edler, der aus freier Wahl bereit ist, lieber ein Niemand zu bleiben als durch einen unscheinbaren Betrug einen Doktortitel zu erwerben. Was macht wohl seinen Auftritt zum Gegenstand einer so langweiligen Vorstellung?

Dagegen das Böse, 


von Haus aus und äußerlich eigentlich ziemlich edel erscheinend, an einen Marterpfahl mit einem falschen Doktortitel gebunden, aus freier Wahl bereit, lieber auf den Titel zu verzichten als ein wirklich edler Niemand zu werden. Was macht wohl diese Vorstellung zum Gegenstand eines so exzellenten Vergnügens? Was kann überhaupt ästhetisch mehr überzeugen als die klare kompromisslose Konsequenz, den Betrug an sich selbst zu bestrafen, ohne dafür von einer fragwürdigen Moralbande sich in die Bedeutungslosigkeit treten zu lassen?

Am Ende


ist es für Schiller-Earth eine Frage der Ausbildung. Der große Haufen nimmt gleichsam blind die beabsichtigte ästhetische Wirkung, ohne die Technik der erzeugten Glaubwürdigkeit zu durchblicken, mit der diese Wirkung auf ihn ausgeübt wird. Bei einer gewissen Klasse von Kennern verliert dagegen die beabsichtigte Glaubenswirkung, weshalb deren ästhetischer Geschmack nur durch die Raffinesse der angewandten Technik zu überzeugen sei. 
     

Sonntag, 13. Februar 2011

Das perfekteste Kunstwerk aller Zeiten


Das perfekteste Kunstwerk aller Zeiten ist was? 


Die Kreuzigung? - Die Auferstehung? - Die Verbrennung der Johanna von Orleans? - Die Ermordung Marats? - Der Gasangriff auf Ypern? - Der Untergang der Titanic? -  Stalingrad? - Auschwitz? - Hiroshima? - Das Attentat auf Kennedy? - Das Massaker von My Lai? - Die Selbstmorde der RAF? - Tschernobyl? - Der Absturz der Challenger? - Die Massengräber in Bosnien-Herzegowina? - Das Erdbeben von Gujarat? - 11.09?

Als die Kunst nichts mehr mit sich anzufangen wußte, erfand sie das Leben. Die Kunst ist das Leben, weil das Leben eine Kunst ist. Und nichts ist kunstvoller als der Tod. Wir werden in unserer Abwesenheit geboren, aber der Tod ist überall und immer dabei. Wie leichte Wolken schwere Türme heben. Wie sie fallen, Betonkathedralen des versammelten Wirtschaftslebens, unendlich in endlos endlichen medialen Wiederholungsschleifen fallen, immer wieder fallen. Als wolle man fassen, was nicht zu fassen ist. Keiner wird tiefer fallen, sagen die Gotteskrieger, als in Gottes Arm. Ja, es ist 11.09. Das perfekteste Kunstwerk aller Zeiten. Du hast neulich vielleicht schon davon gehört. Kiefer hat es gesagt. Stockhausen hatte es schon früher gesagt. Und Celan hat es noch früher gesagt, unvergesslich, mit dieser unvergesslich tiefen, eindringlichen Stimme: 

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland 

Hamburg. Stadt der Hanse, des Serienkillers Honda und der Al-Quds-Moschee, in der sich die studierenden Deutschmeister des suizidalen Weltkulturerbes trafen. Stadt des Unterschieds zwischen dem Zeitpunkt der Planung und dem Zeitpunkt der Ausführung, zwischen den Lebenden und den Toten, zwischen denen, die ihre Gegenwart schon abgeschlossen haben und denen, denen die Gegenwart gegen alle ihre Hoffnungen auf weitere Gegenwart abgeschlossen wird. Zwischen Hamburg, Stadt des meisterlichen Lächels und der meisterlichen Antwort, und New York, Stadt der schmerzenden Fassungslosigkeit und der schmerzenden Fragen. Viele Fragen, zu viele Fragen, und nur ein Tod. Der Tod in New York 11.09. Das ist die Antwort, die einzige Antwort überhaupt, weil es nur einen Tod gibt, eben diesen einen Tod und keinen anderen. Mort de ma vie, wir sind jetzt an dem Punkt, an dem jeder Zweifel an der Größe und Macht der vollendeten Form definitiv und endgültig verschwinden muss. Perfekt. Traumatisch perfekt. Aber absolut perfekt.
11.09


Alles hätte dieser Tag in New York erreichen können. Vielleicht sogar die Abwesenheit vom Tod. Oder wenigstens den Gedanken daran. In eben diesen Türmen, die in den Himmel steigen. Das aber wollten die Kunstmeister aus Deutschland nicht zulassen. Es wäre wohl nicht perfekt genug gewesen. 

Samstag, 5. Februar 2011

An der Beuys-Tafel: Ich bin jetzt frech genug und traue mich



Jedes Ding ist Kunst, wenn man es dem Ding nur sagt.


Erst Kind der Analkultur, mit einem mehr oder weniger gestörten Verhältnis zur eigenen Scheiße. Auch zu seiner Großmutter mütterlicherseits, der vorhandene Familienbeweis, dass ein Mensch nur geboren werden muss, um ein Creativer zu sein. Vati hätte gern gekickt. Nachbarskinder, Fußballschuhe, die nach draußen liefen. Drinnen Buntstifte und Papier aus dem Schrank, ein Grünkringel hier, ein Gelbkringel dort. Vati hat sich dem aber nie in den Weg gestellt. Nur Mutti fragte mal, ob es richtig sei. Nun ja, weil er es unbedingt werden will, so ist das eben. Und als intakter Apfel fällt man nicht so leicht vom Baum, sondern hält sich fest an seinem Stil. Wenn er erst mal so weit ist, einen Schraubenzieher in den Türsummer zu rammen, das Handy zu ertränken und die E-Mail-Adresse zu löschen. Daher hat es Mutti immer gesagt, immer wieder, und immer mit dieser klaren verlangsamten Stimme: Du bist was du bist. Sie sagte es in der guten Sprache der guten Kulturzeitschrift. Und er sagte, es fühle sich gut an, richtig gut an. 
Dann lief er von zu Hause weg und dokumentierte seine Machenschaften als gereifter Kreativmensch. 

Immer mit einem schielenden Blick auf das Eine, das dem Kreativen eigentlich am nächsten liegt. Wie das gemacht ist, was da gemacht ist. Die Haare beispielsweise ein einziger Pinselstrich, Geschwindigkeit, Ruhe, Konstruktion und Spontaneität exakt ausbalanciert. Genial. Aber einer wie er wird sich das natürlich nicht eingestehen, sonst würde er gleich alles fallen lassen und sagen: Warum nach Velazquez noch ein Bild anfertigen? Warum soll man überhaupt noch ein Bild anfertigen, es gibt ja weiß Gott genug Kreativzeugs überall. Das meiste Schrott, vieles ebenfalls, und wenn es hoch kommt, vielleicht eins erträglich. Aber dann geklaut. Verwickelt in den paranormalen Beuyskomplex. Kreative Beschaffungskriminalität für den Meistertitel, überdies subventionierte Konstruktion einer akademischen Künstlersubjektivität von Staats wegen. Das müsste eigentlich im Namen der ästhetisch noch reaktionsfähigen Minderheit bestraft werden, sofern die Multiavantgarde dieses postmodernen Postdesasters nebst einigen geschmacklosen Geldgebern letztendlich dazu kommen sollte, im Freisein von Talent eine dauerhafte Beschäftigung zu finden.



"Der eigentliche Künstler in der Armory-Show war der Mensch, der das Urinoir produziert hat - meinten Sie das?
"Ja, aber das Urinoir ist nicht das Produkt eines einzigen Menschen. Tausende haben daran gearbeitet: diejenigen, die die Porzellanerde beschaffen, diejenigen die sie nach Europa auf Schiffen transportieren... Dies ist so eindeutig, wurde aber von Duchamp nie in Betracht gezogen. Er hat irgendwo irgendwas genommen - gestohlen könnte man fast sagen - und hat es in den Sumpf der dekadenten kulturellen Strömungen geworfen, die jetzt damit ihren Schwindel machen" 
(Vielleicht dass doch noch eine Zeit kommt, in der wir uns wieder in die Kunst verlieben könnten.)