Samstag, 13. März 2010

Die Kunst, der Müll und der Tod

Der Künstlerin rinnt eine Träne die ­Wange hinunter, und sie schaut den Galeristen lange an. Der aber kann ihr nicht helfen, zumal er sich in gleicher Lage befindet. Die Endlosschleife zeitgenössischer Kunst hat jetzt endlich eine Bruchstelle erhalten. Die Bruchstelle steht in der South London Gallery. Über 500 Kunstwerke haben inzwischen den Weg in die Riesen-Mülltonne der ältesten öffentlichen Londoner Galerie gefunden. Der Entsorgungsanteil steigt stündlich und läßt inzwischen die Ateliers beispielsweise von Peter Blake, Mat Collishaw, Michael Craig Martin, Tracey Emin, Damien Hirst, Gary Hume, Julian Opie, Cornelia Parker, Gavin Turk, Keith Tyson und Rebecca Warren wohltuend klar erscheinen. Der (noch) freiwillige Charakter der Aktion ist allerdings zu betonen. Nichts geschieht gegen den Willen eines Künstlers. Lebendige Künstler geben Zustimmung, Tote lassen ihre noch lebendigen Repräsentanten sprechen. Alle angereichten Kunstwerke samt Künstler erhalten auf dem Weg in den Entsorgungstod individuelle therapeutische Betreuung und ein letztes würdiges Geleit. Der jeweils angereichte Abfall wird dann oben in den Container geworfen, schlägt unten hörbar auf, wird am Ende mit allen dort versammelten Trümmern weiter zerlegt und zwecks Herstellung sinnvollerer Produkte recycelt. Alle Besitzer oder Verfertiger von Kunst können sich auf der Website http://www.southlondongallery.org/ anmelden und ihre Werke nach Vereinbarung vorbeibringen. - Nationale Anmerkung: Zu diesem Vorgang auf der Insel mag die deutsche Festlandkunst einwenden, dass der ehrenvolle Durchlauf an einer deutschen Festakademie immer nur Kunst, keinesfalls Abfall, oder Abfall nur bewirke, wenn er zugleich hohe und höchst unentbehrliche Kunst ist. Ausdrücklich wird aber darauf hingewiesen, dass grundsätzlich auch deutsche akademische wie nichtakademische Kunstbetriebe ihre Erzeugnisse nach London bringen dürfen.