Samstag, 5. Februar 2011

An der Beuys-Tafel: Ich bin jetzt frech genug und traue mich



Jedes Ding ist Kunst, wenn man es dem Ding nur sagt.


Erst Kind der Analkultur, mit einem mehr oder weniger gestörten Verhältnis zur eigenen Scheiße. Auch zu seiner Großmutter mütterlicherseits, der vorhandene Familienbeweis, dass ein Mensch nur geboren werden muss, um ein Creativer zu sein. Vati hätte gern gekickt. Nachbarskinder, Fußballschuhe, die nach draußen liefen. Drinnen Buntstifte und Papier aus dem Schrank, ein Grünkringel hier, ein Gelbkringel dort. Vati hat sich dem aber nie in den Weg gestellt. Nur Mutti fragte mal, ob es richtig sei. Nun ja, weil er es unbedingt werden will, so ist das eben. Und als intakter Apfel fällt man nicht so leicht vom Baum, sondern hält sich fest an seinem Stil. Wenn er erst mal so weit ist, einen Schraubenzieher in den Türsummer zu rammen, das Handy zu ertränken und die E-Mail-Adresse zu löschen. Daher hat es Mutti immer gesagt, immer wieder, und immer mit dieser klaren verlangsamten Stimme: Du bist was du bist. Sie sagte es in der guten Sprache der guten Kulturzeitschrift. Und er sagte, es fühle sich gut an, richtig gut an. 
Dann lief er von zu Hause weg und dokumentierte seine Machenschaften als gereifter Kreativmensch. 

Immer mit einem schielenden Blick auf das Eine, das dem Kreativen eigentlich am nächsten liegt. Wie das gemacht ist, was da gemacht ist. Die Haare beispielsweise ein einziger Pinselstrich, Geschwindigkeit, Ruhe, Konstruktion und Spontaneität exakt ausbalanciert. Genial. Aber einer wie er wird sich das natürlich nicht eingestehen, sonst würde er gleich alles fallen lassen und sagen: Warum nach Velazquez noch ein Bild anfertigen? Warum soll man überhaupt noch ein Bild anfertigen, es gibt ja weiß Gott genug Kreativzeugs überall. Das meiste Schrott, vieles ebenfalls, und wenn es hoch kommt, vielleicht eins erträglich. Aber dann geklaut. Verwickelt in den paranormalen Beuyskomplex. Kreative Beschaffungskriminalität für den Meistertitel, überdies subventionierte Konstruktion einer akademischen Künstlersubjektivität von Staats wegen. Das müsste eigentlich im Namen der ästhetisch noch reaktionsfähigen Minderheit bestraft werden, sofern die Multiavantgarde dieses postmodernen Postdesasters nebst einigen geschmacklosen Geldgebern letztendlich dazu kommen sollte, im Freisein von Talent eine dauerhafte Beschäftigung zu finden.



"Der eigentliche Künstler in der Armory-Show war der Mensch, der das Urinoir produziert hat - meinten Sie das?
"Ja, aber das Urinoir ist nicht das Produkt eines einzigen Menschen. Tausende haben daran gearbeitet: diejenigen, die die Porzellanerde beschaffen, diejenigen die sie nach Europa auf Schiffen transportieren... Dies ist so eindeutig, wurde aber von Duchamp nie in Betracht gezogen. Er hat irgendwo irgendwas genommen - gestohlen könnte man fast sagen - und hat es in den Sumpf der dekadenten kulturellen Strömungen geworfen, die jetzt damit ihren Schwindel machen" 
(Vielleicht dass doch noch eine Zeit kommt, in der wir uns wieder in die Kunst verlieben könnten.)