Sonntag, 13. Februar 2011

Das perfekteste Kunstwerk aller Zeiten


Das perfekteste Kunstwerk aller Zeiten ist was? 


Die Kreuzigung? - Die Auferstehung? - Die Verbrennung der Johanna von Orleans? - Die Ermordung Marats? - Der Gasangriff auf Ypern? - Der Untergang der Titanic? -  Stalingrad? - Auschwitz? - Hiroshima? - Das Attentat auf Kennedy? - Das Massaker von My Lai? - Die Selbstmorde der RAF? - Tschernobyl? - Der Absturz der Challenger? - Die Massengräber in Bosnien-Herzegowina? - Das Erdbeben von Gujarat? - 11.09?

Als die Kunst nichts mehr mit sich anzufangen wußte, erfand sie das Leben. Die Kunst ist das Leben, weil das Leben eine Kunst ist. Und nichts ist kunstvoller als der Tod. Wir werden in unserer Abwesenheit geboren, aber der Tod ist überall und immer dabei. Wie leichte Wolken schwere Türme heben. Wie sie fallen, Betonkathedralen des versammelten Wirtschaftslebens, unendlich in endlos endlichen medialen Wiederholungsschleifen fallen, immer wieder fallen. Als wolle man fassen, was nicht zu fassen ist. Keiner wird tiefer fallen, sagen die Gotteskrieger, als in Gottes Arm. Ja, es ist 11.09. Das perfekteste Kunstwerk aller Zeiten. Du hast neulich vielleicht schon davon gehört. Kiefer hat es gesagt. Stockhausen hatte es schon früher gesagt. Und Celan hat es noch früher gesagt, unvergesslich, mit dieser unvergesslich tiefen, eindringlichen Stimme: 

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland 

Hamburg. Stadt der Hanse, des Serienkillers Honda und der Al-Quds-Moschee, in der sich die studierenden Deutschmeister des suizidalen Weltkulturerbes trafen. Stadt des Unterschieds zwischen dem Zeitpunkt der Planung und dem Zeitpunkt der Ausführung, zwischen den Lebenden und den Toten, zwischen denen, die ihre Gegenwart schon abgeschlossen haben und denen, denen die Gegenwart gegen alle ihre Hoffnungen auf weitere Gegenwart abgeschlossen wird. Zwischen Hamburg, Stadt des meisterlichen Lächels und der meisterlichen Antwort, und New York, Stadt der schmerzenden Fassungslosigkeit und der schmerzenden Fragen. Viele Fragen, zu viele Fragen, und nur ein Tod. Der Tod in New York 11.09. Das ist die Antwort, die einzige Antwort überhaupt, weil es nur einen Tod gibt, eben diesen einen Tod und keinen anderen. Mort de ma vie, wir sind jetzt an dem Punkt, an dem jeder Zweifel an der Größe und Macht der vollendeten Form definitiv und endgültig verschwinden muss. Perfekt. Traumatisch perfekt. Aber absolut perfekt.
11.09


Alles hätte dieser Tag in New York erreichen können. Vielleicht sogar die Abwesenheit vom Tod. Oder wenigstens den Gedanken daran. In eben diesen Türmen, die in den Himmel steigen. Das aber wollten die Kunstmeister aus Deutschland nicht zulassen. Es wäre wohl nicht perfekt genug gewesen.